Freitag, 19. Mai 2017

Die Urheberrechtsmärchen der FAZ zum geplanten UrhWissG

Die FAZ hat sich in einer ungewöhnlichen Aktion mit zwei großen, im eigenen Blatt publizierten Anzeigen mit dramatischen Worten an die Mitglieder des Bundesrates und des Bundestages gewandt. Sie sieht die Presselandschaft in Deutschland, deren Bedeutung für eine funktionierende Demokratie außer Frage steht, durch die mit den von der Koalition beschlossenen Wissensgesellschafts-Urheberrechtsgesetz (UrhWissG) geplanten Reformen im Wissenschaftsurheberrecht massiv gefährdet.

In ihrer an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages gerichteten Anzeige, die von den Herausgebern und den Geschäftsführern der FAZ unterzeichnet wurden, werden vor allem zwei Punkte kritisiert. Beide lohnen ein näheres Hinsehen. Das Ergebnis freilich wird der Zeitung aus Frankfurt, die den Anspruch hat, DAS führende Organ des deutschen Qualitätsjournalismus zu sein, vermutlich nicht gefallen.

Die Gratis-Nutzung einzelner Artikel

Es wird kritisiert, dass die Nutzung einzelner Beiträge vollkommen frei sein soll. Wer sich nur für einzelne Beiträge bzw. Texte aus der Zeitung interessiert, werde künftig (!) nicht mehr auf den Erwerb der Zeitung angewiesen sein: "Er kann die einzelnen Beiträge nutzen, ohne die Zeitung zu kaufen." Die freie Nutzung für Unterricht, Lehre und Forschung, Bibliotheken, Archive und den Dokumentenversand sei demgegenüber auf nur 15% der Werke begrenzt "im Gegensatz zur extrem offenen Regelung für Zeitungen."

Durch den Hinweis auf die zulässige Nutzung von § 15% sonstiger Werke ergibt sich, dass es hier offenbar um § 60a im UrhWissG geht. Die kritisierte Passage, zu finden in § 60a Abs. 2, lautet:

"Abbildungen, einzelne Beiträge aus derselben Zeitung oder Zeitschrift, sonstige Werke geringen Umfangs und vergriffene Werke dürfen ... vollständig genutzt werden."

Die Herausgeber und Geschäftsführer der FAZ behaupten, da sie ja ein Szenario beschreiben, das künftig gelten soll, dies sei neu.

Neu freilich ist hier gar nichts! § 60a soll den bisherigen, bereits im Jahr 2003 eingeführten § 52a UrhG ersetzen. Dort steht in Abs. 1:

"Zulässig ist ... einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften zur Veranschaulichung im Unterricht ... oder ... für eigene wissenschaftliche Forschung öffentlich zugänglich zu machen"

Das ist in der Sache NICHTS ANDERES als was nun in § 60a Abs. 2 vorgesehen ist. Da jetzt der Gesetzgeber für die Nutzung etwa von Büchern zum Schutz von Verlagen eine ausdrückliche Grenze bei 15% zieht, war eine Klarstellung, dass Zeitungsartikel weiterhin vollständig genutzt werden können, notwendig. Sie entspricht in der Sache jedoch der bereits jetzt erlaubten Nutzung "einzelner Beiträge".

Hingewiesen sei noch darauf, dass nach geltendem Recht "einzelne Beiträge" aus Zeitungen von jedermann, auch für kommerzielle Zwecke (!), frei kopiert werden oder im Wege des Dokumentenversandes von Bibliotheken angefordert werden können. Das ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 4a, 53a Abs. 1 S. 1 UrhG.

Wie im bisherigen Recht ist auch künftig die Nutzung über § 60a UrhWissG angemessen über eine Verwertungsgesellschaft zu vergüten. Das ergibt sich aus § 60h Abs. 1 UrhWissG. Wirklich gratis ist nach neuen Recht nur, wenn ein Zeitungsartikel etwa im Rahmen einer Weihnachtsfeier in der Grundschule den Anwesenden vorgelesen wird, § 60h Abs. 2 Nr. 1 UrhWissG. Ob das aber das "primäre Geschäftsmodell" einer Zeitung wie der FAZ "ernsthaft gefährdet", darf mit Recht bezweifelt werden.

Vom ersten Kritikpunkt der Anzeigen bleibt bei Licht besehen NICHTS übrig. Die kritisierte neue Rechtslage, die es durch entschlossenes Handeln der Parlamentarier gleichsam als Nothilfe für die massiv gefährdete Pressefreiheit abzuwehren gilt, entspricht exakt dem seit 2003 geltenden Recht.

Das "steuerfinanzierte Online-Archiv" der Nationalbibliothek

Der zweite Kritikpunkt zielt auf die in einem neuen § 16a Abs. 2 des Nationalbibliothekgesetzes (DNBG) geplante Befugnis der Deutschen Nationalbibliothek (DNBG), ein öffentlich zugängliches Archiv freier Online-Quellen anzubieten, um Zitate eben dieser, ihrer Natur nach flüchtigen Online-Quellen für Wissenschaft und Forschung zu sichern und nachvollziehbar zu machen. Dieses Archiv legt die Bibliothek nicht von sich aus an, sondern auf Bitten von Nutzern aus Wissenschaft und Forschung. Es dürfen zudem nur solche Quellen gespeichert werden, deren Zugänglichkeit NICHT dauerhaft anderweitig gewährleistet ist. 

Da Presseerzeugnisse in gedruckter und elektronischer Form vollumfänglich dem Pflichtexemplarrecht unterliegen und u.a. von der Deutschen Nationalbibliothek im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages regulär gesammelt und erschlossen werden, ist die Zugänglichkeit von zitierten Zeitungsartikeln wenigstens über die Pflichtexemplarbibliotheken dauerhaft gesichert, so dass frei zugängliche Zeitungsartikel nach dem geplanten § 16a Abs. 2 DNBG überhaupt NICHT gespeichert oder von der DNB frei zugänglich im Netz angeboten werden dürfen.

Damit ist auch an dem zweiten Kritikpunkt der FAZ ist bei näheren Hinsehen NICHTS dran.

Öffentliche Selbstdemontage einer Qualitätszeitung

Verwundert muss man feststellen, dass der Brandbrief der FAZ vollkommen substanzlos ist. Das freilich kann nur erkennen, wer sich im geltenden Urheberrecht gut auskennt und den Gesetzentwurf der Bundesregierung gründlich und aufmerksam gelesen hat.

Für sich betrachtet, klingen die in dem Brief angesprochenen Sachverhalte vor allem deshalb dramatisch, weil sie mit der ganzen Autorität einer gerade bei politische Entscheidern hoch angesehen Zeitung vorgebracht werden. Dass dahinter entweder eine Recherche auf dem Niveau eines Volontärs in der ersten Praktikumswoche oder sogar eine von ganz anderen als den im Brief genannten Verlegerinteressen getriebene Lobbykampagne steckt, hätte man gerade der FAZ nicht zugetraut. 

Der Brief der Herausgeber und Geschäftsführer ist daher tatsächlich alarmierend. Es ist um die für die Demokratie wichtige Presse und ihre in dem Brief auch richtigerweise herausgestellte Funktion, ein unabhängiges Medium der freien Meinungsbildung zu sein, nicht gut bestellt, wenn in der Herzkammer des deutschen Qualitätsjournalismus eine gezielte Desinformationskampagne gestartet wird. Dabei werden das Renommee der Zeitung und die urheberrechtliche Ahnungslosigkeit des Publikums geschickt miteinander verbunden. Mit einem "klugen Kopf" hinter der FAZ wird offenbar nicht mehr gerechnet!

Zur Ehrenrettung der FAZ könnte man jetzt nur noch anführen, dass die Unterzeichner des Briefes wohl von Amateuren beraten worden sind, die vom Urheberrecht keine Ahnung haben. Für den Anspruch, eine Qualitätszeitung zu sein, ist das freilich auch nicht gerade schmeichelhaft.

Ich will aber versöhnlich schließen und darauf hinweisen, dass das geplante Gesetz künftig sogar eine schöne Privilegierung von Zeitungen und Verlagen enthält, weil im Gegensatz zum jetzigen Recht der Dokmentenversand durch Bibliotheken für kommerzielle Zwecke, also für Unternehmen und Gewerbetreibende, vollständig verboten werden soll! Das steht im geplanten § 60e Abs. 5 UrhWissG. Es werden also rosige Zeiten für die Online-Archive der Zeitungen anbrechen, weil künftig kommerzielle Nutzer nur noch über die Zeitungsverlage bequem und zuverlässig an Pressebeiträge kommen können. 

Vielleicht ist der Widerstand gegen des UrhWissG mit Blick auf das "primäre Geschäftsmodell" einer Tageszeitung doch keine so gute Idee ...